21.10.2010 | Heilbronner Stimmer

Römer halten manche Uberraschung bereit

NEUENSTADT Apollo-Grannus-Tempel in Bürg nimmt Gestalt an - Über seine Zukunft machen sich Land, Kreis und Stadt erste Gedanken

Seit 2003 wird zwischen Neuenstadt, Kochertürn und Bürg gegraben, gekratzt, gefegt. In römischer Zeit waren hier einmal mehr als 30 Häuser gestanden, wo heute nur noch Acker und Streuobstwiesen zu sehen sind. Ausgegraben wird ein einziges Gebäude. „Dass das ein Tempel war, wussten wir schon vorher“, erzählt Grabungsleiterin Susanne Barthel. Luftbilder haben schließlich seit 1989 viele Geheimnisse preisgegeben, die jetzt mühsam von Hand freigelegt werden müssen.

Aktive Quelle Und doch war nicht alles schon aus der Luft zu sehen. Die Verantwortlichen wurden in diesem Jahr gleich mehrfach überrascht: Zwei achteckige Becken kamen zum Vorschein, die vor 1800 Jahren aus einer heute noch aktiven Quelle gespeist wurden. Auch an diesem Morgen musste eine Pumpe die Becken leerpumpen. „Dem Wasser wurde damals wahrscheinlich eine heilende Wirkung zugesprochen“, sagt Barthel. DerTempel war nämlich dem römisch-keltischen Heilgott Apollo-Grannus gewidmet gewesen. Auch das wurde erst in diesem Jahr entdeckt, genau wie der Original-Estrich.
„Pause, es gibt Zwetschgenkuchen!“, ruft Gudrun Bausch. Die 72- Jährige, die seit 16J ahren ehrenamtlich bei Ausgrabungen in der ganzen Region mithilft, sorgt für gute Stimmung an diesem kalten Oktobermorgen. Insgesamt arbeiten bis zu fünf Ehrenamtliche hier, daneben die festangestellte Grabungstechnikerin Margarethe Weissert und drei Angestellte mitZeitvertrag. Der Jahresetat liegt bei 50000 Euro.
Nur langsam kämpft sich die Sonne durch den Nebel. Es ist ungemütlich. Nur noch wenige Tage, dann wird hier wieder alles winterfest gemacht. „Es muss trocken bleiben“, sagt Dr. Klaus Kortüm, Römerexperte beim Denkmalamt des Regierungspräsidiums. „Das ist ein Riesenaufwand.“ Ein, zwei, vielleicht drei Jahre werden die Arbeiten noch dauern.
Und danach? „Dann muss man sich irgendwann entscheiden, ob man den Tempel wieder mit Erde zuschüttet oder für die Allgemeinheit zugänglich macht“, sagt Kortüm. Auch wenn man ihn zuschüttet, wäre er für die Nachwelt erhalten - „das wäre nicht die schlechteste Lösung“, findet der Denkmalexperte.
Allerdings auch nicht die beste, wie Neuenstadts Bürgermeister Norbert Heuser findet. „Wir haben großes Interesse daran, dass hier etwas entsteht.“ Vor seinem geistigen Auge lässt Heuser eine Säulenanlage entstehen, mehr als nur eine Überdachung jedenfalls.

Unterstützung "Dazu gehört ein Gesamtkonzept, mit dem wir diese wichtige Spur der Vergangenheit in die Zukunft führen wollen." Es sei schließlich eines der größten, bisher nicht erforschten Areale aus jener Zeit im süddeutschen Raum. Die Stadt könne das aber nicht alleine schultern. Das Land müsse mitziehen, vielleicht könne man auch eine Stiftung gewinnen. Landrat Detlef Piepenburg hat womöglich sogar Großes vor, doch konkreter wird keiner der Denkmalschützer. Auch Staatssekretär Richard Drautz weiß um die Bedeutung der Anlage: „Es ist ein Glücksfall, dass diese Anlage unter einem Acker - liegt und nicht unter einer Altstadt.“ Doch finanzielle Zusagen gebe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Gudrun Bausch und ihre Mitstreiter sind inzwischen aus dem Bauwagen zurück. „Jetzt ist der Kuchen kalt“, sagt sie enttäuscht Zll Sosanne Barthel, die der Einladung mit Verspätung folgt. Dann geht sie wieder daran, die fast 2000 Jahre alten Mauern freizukratzen. Erste Sonnenstrahlen fallen auf die Anlage. „Es ist eine Freude. hier arbeiten zu dürfen“, sagt sie, „wenn man so schöne Sachen findet.“

Hintergrund Präsentationen Selten war so viel los auf der Grabungsstelle in Neuenstadt wie gestern. Das Landesamt fOr Denkmalpflege hat den Ort ausgesucht. um ihn stellvertretend für die vielen archilologischen Grabungen im Land vorzustellen und gleichzeitig mit dem Theiss-Verlag das Jahrbuch „Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg2009“ zu präsentieren. Mit dabei waren Staatssekretär Richard Drautz, Regierungspräsident Johannes Schmalzl und der Chef des Landesamts für Denkmalpflege, Dr. Claus Wolf. Der erklärte: „Auf 20 bis 30 Hektar haben wir hier ein Potenzial, das einzigartig ist in Baden-Württemberg.“ Vieles davon wird aber auch künftig nicht ausgegraben werden. Zu teuer wäre das Unterfangen. Allein die Grabungen am Tempel haben bislang rund 200000 Euro gekostet. cgl

 

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